Joy of Use (Nutzungsfreude)

Von den 3 Elementen der User Experience für interaktive Anwendungen ist Joy of Use mit Abstand am schwersten zu definieren und auch zu gestalten. Jedoch kann durch Ästhetik und Emotionen ein positives Empfinden beim Benutzer hervorgerufen werden welches zur verstärkten und weiteren Nutzung führen kann.
Es existiert bislang in Forschung und Literatur kein einheitlicher Begriff für die Nutzungsfreude (Joy of Use).
Naumann (2012, S.23) weißt auf die Begriffsvielfalt hin und nennt über 40 verschiedene Ausdrücke die übersetzt meist mit Ästhetik, Attraktivität, Benutzererfahrung und Genuss in Verbindung stehen.
Qualitätskriterien
Nauman (2012, S.37 ff) untersuchte verschiedenste Forschungsansätze und konnte aus 10 unterschiedlichen Arbeiten unter anderem von Hassenzahl et al, Norman, Jordan und Overbeeke folgende Übereinstimmungen der Qualitätskriterien isolieren:
Individualisierbarkeit
Overbeeke et al beschreiben die Möglichkeit für den Benutzer seine eigene Geschichte oder Ritual zu entwerfen was zu mehr Vertrautheit während der Benutzung führen kann. Durch digitale Technologien lassen sich intelligente Produkte entwickeln die sich an den Benutzer anpassen. (vgl. Funology 2003, S.11)
Etwas vereinfachter drückt Arntdt (2006, S.87) die Personalisierbarkeit von interaktiven Anwendungen durch eigene Mittel aus. Schon die Nutzung eines eigenen Profilbildes oder Avatars macht eine Software personalisierbar.
Herausforderung
Für Arndt (2006, S.86) ist Herausforderung für eine interaktive Anwendung dann gegeben, wenn sie im Rahmen der Fähigkeiten des Benutzers neue Möglichkeiten der Interaktion bietet.
Im Game Design ist die anhaltende Herausforderung ein wichtiges Qualitätskriterium. Dabei muss die Herausforderung auch hier immer an die Fähigkeiten des Spielers angepasst werden, damit er sich der Aufgabe gewachsen sieht. Ist der Spieler der Meinung, dass er eine Herausforderung nicht bewältigen kann führt das rasch zu Frustration, auf der anderen Seite langweilt sich der Spieler sehr schnell wenn die Herausforderung zu gering ist. (vgl. Schell 2012, S. 172)
Neugier
„Play is manipulation that indulges curiosity.“
(Schell 2008, S.30)
Schell (2012, S.65) stößt bei seiner Frage was ein Spiel eigentlich ist auch auf die Motivation durch Neugier. Eine mögliche Annäherung an die Definition des Spielens geschieht über die Pflichterfüllung, je mehr man sich einer Sache verpflichtet fühlt desto mehr fühlt es sich nach Arbeit an. Spielen ist im Gegensatz mit wenig Pflicht verbunden und geschieht daher auch immer freiwillig.
Wenn man es schafft an die Neugier des Benutzers zu appellieren und nicht so sehr an die Pflichterfüllung wird der Benutzer mehr Freude empfinden.
Ein Fließbandarbeiter könnte sich, anstatt an das Geld am Ende des Monats zu denken, mit folgenden Fragen motivieren:
„Kann ich einen neuen Rekord aufstellen?“
„Bin ich heute schneller als gestern?“
„Was passiert wenn ich heute eine andere Technik verwende?“
Die Antworten auf diese Fragen wecken die Neugier, bringen dadurch mehr Freude und lassen somit die Pflichterfüllung etwas in den Hintergrund treten.
Überraschung
Als Basis für Humor, Strategie und der Problemlösung sind Überraschungsmomente auch ein wichtiger Teil von Unterhaltung. Laut Schell (2012, S 61) ist das menschliche Gehirn darauf eingestellt sich an Überraschungen zu erfreuen.
Überraschung ist neben der Neugier auch ein wichtiger Aspekt von Variation, die dabei hilft aus der Routine auszubrechen bevor der Benutzer gelangweilt wird. (vgl. Funology 2003, S.58)
Hassenzahl et al bezeichnen die Überraschung als zentralen Unterschied zwischen Zufriedenstellung und Freude. Zufriedenstellung entsteht durch die Bestätigung von Erwartungen wohingegen Freude durch deren Abweichung gebildet werden kann. (vgl. Funology 2003, S.98)
persönliche Benutzererfahrung und –erlebnisse
Dem Schaffen von Benutzererlebnissen kommt besondere Bedeutung zu, da Erlebnisse und positive Erfahrungen mit dem (interaktiven) Produkt den Benutzer überhaupt erst Joy of Use erfahren lassen. (vgl. Nauman 2012, S.126)
Kontrolle
„Demands without the experience of control
will result in a stressful and frustrating experience,
rather than the experiences of joy.“
(Brandtzæg et al, Funoloy 2003, S.58)
Kontrolle kann sich bei einer interaktiven Anwendung auf unterschiedliche Arten ergeben. Eine Möglichkeit haben wir mit der Individualisierbarkeit schon kennengelernt.
Die stärkste Auswirkung auf den Benutzer hat aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die Kontrolle über die Interaktion und somit über das Interface einer Anwendung oder eines Spiels.
Im Game Design ist das Interface genauso wie bei seriöser Software die Schnittstelle die Benutzer und Anwendung zusammenbringt. Bei Spielen ist es auch das Tor in eine neue Welt und daher ausschlaggebend für das Benutzererlebnis. Und durch dieses Interface muss der Benutzer immer das Gefühl haben das Erlebnis kontrollieren zu können. (vgl. Schell 2012, S. 296)
Daher sollten Interfaces intuitiv zu bedienen sein und nicht zu kompliziert. Darüber hinaus soll der Spieler ständig der Meinung sein, dass er Einfluss auf den Ausgang des Spieles nehmen kann. Denn laut Schell ist Kontrollgefühl gleich Machtgefühl.
Usability als Basis für Joy of Use
Besonders Jordan (2000) setzt für Joy of Use, er verwendent den Begriff „pleasure“, uneingeschränkte Usability voraus.
Bei seiner „Hierarchy of Consumer Needs“ muss zunächst die „functionality“ (Utility) erfüllt sein, danach folgt die Usabilty und schlussendlich „pleasure“ (Joy of use).
Demnach ist der Benutzer nicht in der Lage Joy of Use zu erleben wenn er seine Aufgabe durch das Produkt nicht ausreichend erledigen kann.
Hier merkt Arndt (2006, S. 80) jedoch an, dass die Elemente der User Experience häufig im Widerspruch stehen und auch keiner Richtung oder Reihenfolge unterliegen.
Am Beispiel von Usabilty und Joy of Use erklärt er diesen Widerspruch anhand eines Fußballspieles. Für den Spieler stellt die gegnerische Mannschaft eine starke Beeinträchtigung der Nutzbarkeit (Usability) dar, dabei ist diese, in Anbetracht der Herausforderung, genau der Grund für die erlebte Nutzungsfreude (Joy of Use). Spielen gegen keine oder eine zu schwache Mannschaft macht keine Freude.
Goal Mode vs Action Mode
Das Schema eines Produktcharakters zeigt die Attribute und Beziehungen der einzelnen Attribute. Hassenzahl (Funology 2003, S.34) stellt sich die Frage, welche Gruppen von Attributen wirklich von Bedeutung sind. Dabei betrachtet er die wichtigsten Funktionen von Produkten und gliedert sie in zwei Produktgruppen.

Pragmatische oder ergonomische Attribute:
Die Manipulation seiner Umgebung zählt für den Benutzer zu den genannten Produktfunktionen. Diese setzt eine entsprechende Utility (Nutzen) voraus und Möglichkeiten um diesen Nutzen abrufen zu können (Usability). Nach Hassenzahl sind Produkte mit pragmatischen Attributen hauptsächlich zweckdienlich. Für Softwareprodukte nennt Hassenzahl unter anderem „nützlich“, „steuerbar“ und „unterstützend“ als typische pragmatische Attribute.
Hedonische Attribute:
Für alle weiteren bedeutenden Produktattribute wählt Hassenzahl (Funology 2003, S.35) den Begriff hedonisch, was im griechischen Lust oder Freude bedeutet. Daher sind sie am besten geeignet den Joy of Use eines Produktes zu steigern. Dabei verwendet er unter anderem „herausragend“, „eindrucksvoll“ und „aufregend“ als typische hedonische Attribute in Zusammenhang mit Softwareprodukten.
Weiters unterteilt Hassenzahl die hedonischen Funktionen von Produkten in drei Gruppen:
Stimulation
Menschen streben danach sich persönlich weiter zu entwickeln, sei es sich neues Wissen anzueignen oder neue Fähigkeiten zu erlangen. Damit Produkte stimulieren müssen sie neue Eindrücke, Erkenntnisse oder Gelegenheiten bieten. Dies kann durch neue, interessante oder versteckte Funktionalität, Inhalte, Gestaltung oder Interaktionsmöglichkeiten geschehen.
Identifikation
Ein Produkt muss eine bestimmte Identität kommunizieren um dem Wunsch der Benutzer sich individuell durch Objekte ausdrücken zu können nach zu kommen.
Laut Hassenzahl neigen Menschen dazu Produkte vorzuziehen die es ihnen erlauben ihre Persönlichkeit nach außen zu präsentieren.
Evokation (Hervorrufen oder Wachrufen von Gedanken und Assoziationen)
Wen sich ein Erwachsener Mann zuhause sein kleines gelbes Spielzeugauto ansieht und dies sofort mit seiner Lieblingsmetropole in Verbindung bringt ist das ein gutes Beispiel wie Produkte Erinnerungen hervorrufen können.
Wie auch Naumann (2012, S.32) zusammenfasst sind pragmatische und hedonische Attribute voneinander unabhängig, bestimmen aber gemeinsam den Produktcharakter. Überwiegen die pragmatischen Attribtute bezeichnet Hassenzahl diese als ACT-Produkte, um ein SELF-Produkt handelt es sich wenn die hedonischen Attribute bestimmend sind. Um ein begehrenswertes Produkt zu gestalten sollte es in beiden Attributgruppen stark sein.
Produkte können in unterschiedlichen Situation genutzt werden. Hassenzahl (Funology 2003, S.39) unterscheidet den mentalen Zustand des Benutzers in einen Goal Mode und einen Action Mode.
Goal Mode
Wenn sich ein Benutzer im Goal Mode befindet ist die oberste Priorität eine Aufgabe zu erfüllen dabei ist das verwendete Produkt ausschließlich Mittel zum Zweck und Effektivität und Effizienz bestimmen die Handlung.
Action Mode
Spielerisch und spontan verhalten sich Menschen in Situationen des Action Mode. Im Gegensatz zum Goal Mode ist hier Aufregung erwünscht um Langeweile vorzubeugen.
Um die Bedeutung der einzelnen Elemente der User Experience bei der Konzeption interaktiver Anwendungen zu ermitteln weißt auch Arndt (2006, S.81ff) auf den Einfluss durch den Nutzungskontext (Situation) hin.
Wenn ein Handynutzer, aufgrund eines Autounfalles, nachts im Regen versucht die Rettung zu alarmieren sind für ihn die einwandfreie Nutzbarkeit (Usability) und der Nutzen (Utility) an sich sehr wichtig wohingegen der Joy of Use vernachlässigbar ist.
Im Urlaub jedoch am Strand liegend möchte derselbe Handynutzer nur für eine bestimmte Zeit etwas von der Langeweile abgelenkt werden. In dieser Situation steht der Joy of Use eines Produktes im Vordergrund.
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